Tree Top Huts Norwegen: Wo die wilde Stille wohnt


„Zum Ausrasten gemütlich!“ beschreibt unseren Auftakt ins neue Jahr 2018 wohl am besten. Zwei frostige Januarnächte haben Christopher und ich für den Reisebericht „Der Wipfel der Gemütlichkeit“ für den DuMont Reiseverlag in den kuschligen Tree Top Huts in Norwegen verbracht. Verbracht? Zelebriert trifft es wohl besser. Über die winterliche Provinz Hedmark liegt eine glatt gebügelte, makellos weiße Tischdecke aus Schnee. Unter ihr sammelt die Natur ihre Kräfte für ein Wiederaufbäumen im Frühling. Draußen misst es klirrende minus 15 Grad, im Baumhausinneren fühlen wir mollige dreißig.

 

Bei unserer nächtlichen Ankunft werden wir mit einer Kette von flackernden Laternen zum Baumhaus geleitet, im Inneren erwartet uns schummriges Licht, ein lodernder Holzofen, eine Flasche Rotwein und Schokokekse. Ich muss sofort an Rotkäppchen denken. Draußen heult der Wolf – in meinem Kopf. Die Gemütlichkeit ist schier zum ausrasten. Beinahe schmerzt sie. Kuschlige Schaffelle, stilvoll gemusterte Wolldecken, das viele Holz strahlt Wärme aus. An diesem kuschligen Ort ist übrigens nicht nur ein toller Reisebericht entstanden, sondern auch unser erstes kleines Menschenkind, das in ca. einem Monat das Licht der Welt erblicken wird!

 

Das wunderbar sympathische Paar Frode Schei und Ann-Marie haben in den letzten 12 Jahren sechs dieser Baumkronenhütten gebaut, die verstreut in der waldigen Hedmark liegen. Wir haben uns mit den beiden bei Eplemost und Keksen über ihre Tretophytter unterhalten:

 

Frode, wann hat deine Liebe zu Baumhäusern begonnen?

Es hat alles begonnen, als ich ein kleiner Junge in den 60ern war. Für Kinder war es in Norwegen damals gang und gäbe, im Wald zu herumzutollen. Wir spielten Cowboys und Indianer und versteckten uns hoch oben in den Bäumen. Wir bauten damals auch viele Baumhäuser. Natürlich nicht so hoch wie jetzt. (Lacht) Als ich mich das erste Mal verliebte, war ich in einem Baumhaus. Wir waren ja nur Jungs als wir in unserer Straße aufwuchsen. In der Nachbarstraße wohnten ein paar Mädels. Wir bauten ein Baumhaus und luden sie zu uns ein. Das Baumhaus war das erste Mal für jedes erste Mal. (Lacht).

Und was war der Startschuss für die Tretophytter?

Ich bin ein Forst-Ingenieur und ich arbeite in der Gegend seit ca. 1985. Als mir die Idee für die Baumkronenhütten kam, war ich einerseits so nahe und gleichzeitig so fern von Oslo. Die Nächte hier waren pechschwarz, es war unglaublich ruhig und die Landschaft, die Bäume … einfach wunderschön. Die Idee entstand, mit dem Bau meiner Baumhäuser anderen Menschen diese Schönheit erleben zu lassen. Damals war es nicht so üblich, die Wälder zu besuchen. Zur gleichen Zeit hingen meine beiden Jungs nur vorm Fernseher und dem Computer rum. Als ich jung war, war es für mich das Größte, im Wald zu bauen, Vögel und Wildtiere zu beobachten und dadurch der Natur sehr nahe zu kommen. Was würde ich dafür geben, in jungen Leuten die Faszination für die Natur zu erwecken! Das würde die Welt für mich zu einem besseren Ort machen und wäre auch was für die nächsten Generationen. Sie erleben, wie die Natur wirklich funktioniert und dass wir ein Teil von ihr sind. Und eine gute Möglichkeit ist die Natur von einem Baumhaus aus zu beobachten. Du kannst Vögel unter dem Baumhaus hindurch fliegen sehen und sie auf deiner Hand auf der Terrasse füttern. Auch Mäuse, Eichhörnchen und sogar Eulen tummeln sich hier.

Was für Tiere leben denn in der Umgebung?

Rentiere, aber die sind eher selten hier. Wir haben viele Elche hier, Füchse, Wölfe, Vögel wie zum Beispiel Spatzen, Finken, Dompfaffen, Spechte, Schopfmeisen, … ca. zwischen sieben und dreizehn verschiedene Arten.

 

Und woher kommen eure Gäste?

Bis jetzt kommen 97 Prozent aus Norwegen, davon 40 Prozent aus der direkten Umgebung. Die letzten drei Prozent kommen zum Beispiel aus Australien, Japan, Deutschland, Großbrittanien, … Die Baumkronenhütten sind sehr beliebt hier und es ist nicht immer leicht, verfügbare Termine zu finden. Ich glaube in ein bis zwei Jahren wird sich noch einiges ändern, da auch andere Firmen anfangen Baumhäuser zu bauen. Wir verkaufen bereits Entwürfe und Pläne an andere Baumhausbauer.

 

Was suchen eure Gäste in den Baumhäusern?

Sie suchen einen ruhigen Rückzugsort im Wald. Unsere Gäste wollen sich hier entspannen und einfach eine schöne Zeit mit ihren Liebsten und Freunden verbringen.

 

Was macht mehr Ärger? Eine Gruppe Jungs oder eine Gruppe Mädels?

Frode lacht und blickt zu Ann Marie: Wen fragst du? Ann Marie oder mich?  (Lacht) Nein, wir hatten soweit keine Probleme. Menschen, die einen Rückzugsort im Wald aufsuchen, suchen selten Ärger. Manchmal kommt es vor dass die jungen Leute nicht wissen, was aufräumen bedeutet. Ich denke dass unsere Gäste nach einem geräuscharmen Ort suchen, Vogelgesänge und Wind, der durch die Bäume rauscht, natürlich ausgenommen. Hier kann es so ruhig sein, dass du deinen eigenen Atem hörst und dein Herz und sein Blut in den Adern pulsieren spürst. Unsere Gäste wollen schwarze Nächte und einfach mal etwas Neues erleben. Für die meisten ist eine Nacht im Baumhaus etwas brandneues. Oder sie haben vielleicht selbst als Kind eines gebaut und haben gute Erinnerungen daran.

 

Kommen eure Gäste mehr als einmal?

Ja, manche Gäste wollen unsere Baumhäuser in unterschiedlichen Jahreszeiten erleben, oder andere Baumhäuser kennenlernen. Wir haben Gäste, die schon alle fünf Baumhäuser besucht haben, manche buchen jedes Jahr dieselben Baumkronenhütten. Oft zeigen Großeltern ihren Enkeln hier, dass sie als Kinder auch so etwas ähnliches gebaut haben.

 

Frode, könntest du dir vorstellen, permanent in einem Baumhaus zu wohnen?

Jetzt wohnen wir in einem kleinen Haus, das aber nicht so klein wie ein Baumhaus ist! Bevor ich Ann-Marie kennenlernte lebte ich tatsächlich in einem Baumhaus. Ich würde es gerne wieder machen. Das geht, aber du musst dein eigenes Wasser hierher transportieren und noch einige Anpassungen vornehmen.

 

Und wie sieht’s bei dir aus, Ann-Marie?

Ich liebe die Baumhäuser. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich in einem leben könnte. Wir sehen sie ja jeden Tag, es ist unsere Arbeit und du wirst ein bisschen blind wenn du immer von Baumhäusern umgeben bist. Frode: Vielleicht kommt irgendwann die Zeit, wenn wir langsamer treten können. Das Business läuft sehr gut im Moment. Aber wenn wir in Ruhestand gehen eines Tages, uns ein wenig entspannen, könnte ich mir schon vorstellen für ein paar Monate in ein Baumhaus zu ziehen, das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Das Leben in einem Baumhaus … natürlich braucht man eine gute Internetverbindung, Handy und Computer und alles was man so zum arbeiten braucht. Wir würden hier sitzen und arbeiten.

 

Was ist der Wald für dich, Frode?

Freiheit. Und eine schöne Aussicht. Die vier Jahreszeiten zu erleben ist sehr wichtig für mich. Der wunderschöne kalte, stabile Winter … Im März schmelzt die Sonne den Schnee, im Frühling hörst du die Frösche vorm Balkon quaken, die Vögel kommen von ihrem kleinen Trip aus Afrika zurück, erzählen all die Abenteuer, die sie dort erlebt haben … und den wunderbaren Farbrausch im Herbst, wenn die Blätter sich langsam von den Bäumen verabschieden.

 

Welchen Status hat der Wald in der norwegischen Gesellschaft?

Einen sehr hohen. Die meisten Norweger lieben es, durch die Wälder zu wandern. Das ist hier sehr üblich. Nicht so üblich mit Schneeschuhen im Winter, allerdings. Im Sommer wandern wir auf Wanderwegen oder schlagen uns durch den wilden Wald. Und im Winter gehen wir gerne Langlaufen oder fahren mit dem Tretschlitten durch die Umgebung.

 

Wie sorgen die Förster für die Erhaltung ihrer Wälder?

Norwegische Wälder haben viele Eigentümer. Hier gibt es keine rechteckig verlaufende Grundstücksgrenzen zwischen den Farmen. Die Grenzen verlaufen natürlich an einem See oder Flusslauf. Große Firmen behandeln ihren Wald anders, denke ich. Viele norwegische Bauern sehen den Wald als ihre Bank an. So erreichen die Bäume ein hohes Alter, in der ökonomischen Denkweise zu alt. Aber sie wollen den Wald für die nächste Generation erhalten. Wenn sie nur ökonomisch denken würden, würden sie die Bäume einfach absägen. Viele dieser Bäume hier sind älter als 130 Jahre. Die Bauern sind sehr stolz auf ihren alten Wald.

 

Was glaubst du denken die Tiere des Waldes über deine Baumhäuser?

Hm, ich habe sie noch nicht gefragt, aber wir füttern die kleinen Tiere wie Vögel und Eichhörnchen. Sie besuchen uns täglich. Auch Elche, aber die dürfen wir nicht mehr füttern. Wir hatten auch mal Adler gefüttert, den Steinadler und den Seeadler. Wir verschrecken keine Tiere mit unseren Baumhäusern. Es ist uns wichtig, dass junge Menschen hierherkommen und diese Tiere beobachten können. Hoffentlich lernen sie die Tiere, die Natur und die Wälder lieben.

 

Bauen die Vögel und Eichhörnchen ihre Nester in der Nähe der Baumhäuser?

Ja, das machen sie. Wir helfen ihnen auch mit kleinen Boxen. Acht Eichhörnchen hatten wir mal hier jeden Morgen. Das war unser Rekord. Doch ihr natürlicher Feind der Marder hat sie wieder dezimiert.

 

Was möchtest du in einem Baumhaus nicht vermissen?

Den Holzofen und einen Haufen Brennholz! Mir ist auch wichtig einen gemütlichen Ort mit schöner Aussicht zum Aufwachen zu haben, wo ich die Vögel gut beobachten kann.

 

Welche Baumhauslektüre würdest du uns empfehlen?

Vogelbestimmungsbücher. Ansonsten Gedichte des berühmten Norwegischen SchriftstellerHans Børli über seine Erlebnisse im Wald einhundert Jahre vor unserer Zeit. Er stammt aus dem östlichen Teil Norwegens.

 

Wie kannst du die Stille hier am besten genießen?

Du brauchst Zeit um die Stille hören zu können. Du kannst nicht einfach aus dem Auto steigen mit tausend Sachen im Kopf und sofort die Stille wahrnehmen. Atme zuerst tief aus, erde dich und schalte mal das Handy aus. Lass dir Zeit. Setze dich für fünfzehn Minuten hin, tue nichts, höre einfach der Stille zu. Manche unserer Baumhäuser eignen sich dafür perfekt. Keine Instant-Stille. Viele unserer Gäste buchen beim ersten Mal nur eine Nacht und merken dann, dass sie mehr Zeit bräuchten, um die Ruhe wirklich genießen zu können. 70 Prozent der Gäste buchen beim nächsten Mal gleich mindestens  zwei oder mehr Nächte.

 

Was wäre euer perfekter Wipfel-Drink?

Bier.

Und das beste Baumhaus-Gericht?

Rakfisk. Das ist eine Forelle, die im Frühsommer gefischt wurde und in Salz für ein paar Monate bei bis zu 10 Grad fermentiert wurde. Wir essen sie gerne mit Kartoffeln und Butter in der Winterzeit.

 

Welche Band würde vor eurem Baumhausbalkon ein Ständchen spielen?

Bruce Springsteen. (Lacht) Und Lars Vinebek.

 

Was bedeuten Baumhäuser für dich, Frode?

Die Natur hautnah zu erleben. Und einen Rückzugsort zu haben, an dem man fernab von seinem Alltagsstress und den Erwartungen anderer Leute die Natur und sein Leben reflektieren kann.

 

Und gibt’s eine lustige Geschichte, die du mit uns teilen möchtest?

Ja (Lacht). Einmal hat ein junges Mädel ihren Freund von der Stadt mitgebracht. Der hatte so enge Hosen an, dass er die Baumhaustreppen nicht hochsteigen konnte!

 

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