Warum bauen wir Baumhäuser?


Ich behaupte einfach mal, daß jedes Kind, das in der Umgebung von Natur und Bäumen aufwächst, irgendwann auf die Idee kommen wird, sich und seinen Freunden ein Baumhaus zu bauen. Der Wunsch nach einem Rückzugsort, wo man ungestört und ausserhalb der Erwachsenenwelt seine eigene Welt erfinden, entspinnen und leben kann, um so im Spiel und der Fantasie zu lernen, zu wachsen und zu sich selbst zu werden, scheint angeboren. Eine Astgabel im Kletterbaum, ein Platz in der Krone, lockt als idealer Raum für solch einen Ort. Versteckt hinter den Blättern, in der Höhe und nicht für jeden zu erreichen, bietet der Baum Schutz und das Versprechen, jedes Geheimnis zu bewahren. Er wird zum Freund, dem man bedingungslos vertraut, auch zum Komplizen für jeden ausgeheckten Plan; er steht und trägt und birgt den Raum, der ihn so wertvoll für uns macht.

„If we can’t fly with the birds, at least we can nest with them.“ Dieser Satz von Pete Nelson, auch er ein Freund, beschreibt sehr schön eine menschliche Sehnsucht, die uns auch im erwachsenen Alter von Baumhäusern träumen lässt – die Sehnsucht nach Freiheit, nach einem Ort fern aller Verpflichtungen und Zwänge. Nach einem Ort der Ruhe und Geborgenheit, an dem man in sich kehren kann und andere, neue Perspektiven entdeckt. Wobei das in sich kehren durchaus auch als die Handlung mit dem Besen verstanden werden kann. So stellt man in einem Baumhaus vielleicht fest, das, durch eine andere Perspektive, das Betrachtete selbst sich oft, wie von allein, gefälliger gestaltet. Vielleicht öffnet sich auch, allein durch die Geborgenheit des Baumes und sein Angebot, die Last zu teilen, ein Raum, der zuvor lang verschlossen war. Vielleicht wacht man nach einer Nacht unterm Blätterdach auf und steigt erfrischt und fröhlich wieder hinab zum Boden. Vielleicht liest man ein Buch, schaut in die Natur, hört dem Regen zu, aufs Dach und durch die Blätter, vielleicht mit der oder dem Liebsten, vielleicht erzeugt ein Baumhaus auch einfach mehr romantische Gedanken, als man je geglaubt hat in sich zu tragen. Man wird auf jeden Fall den Unterschied zwischen Langeweile und Muße, in für manche ungeahnter Deutlichkeit, vor Augen geführt bekommen. Da wird ein „hast Du Deine Hausaufgaben schon gemacht?“, oder ein „warst Du schon bei der Post?“ wenigstens für ein paar Augenblicke zu kaum noch vernehmbaren Echos aus längst vergangenen Zeiten, mit etwas Glück spürt man sogar als Kind bereits sein Potential zur Altersmilde.
Man merkt, daß „oben sein“ erstrebenswert und wichtig ist, nicht als „oben, über anderen“, sondern als „oben“ im Sinne von „den Überblick bewahren“, „darüber sitzen, liegen, stehen“ und „Herr seiner eigenen Situation zu sein“. Ein „oben“ also, daß ein für Alle erreichbares und meines Erachtens nach natürliches Ziel darstellt. Nur im Überblick hat man die Möglichkeit, Unterschiede zu erkennen, unterscheiden zu lernen, und so wichtige von weniger wichtigen Dingen zu trennen, über den Dingen zu stehen also. Ein Baumhaus bietet uns den Raum, all das zu tun. Das und vieles andere könnten die Gründe sein, warum wir Baumhäuser bauen.

 

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